Es ist in bestimmten Situationen sicher sinnvoll, auch bei seelischen Leiden medizinische Diagnosen zu erstellen. Ich denke dabei insbesondere an Fälle, bei denen...
...eine Versicherung des Gesundheitswesens für eine Therapie aufkommt. Sobald es aber darum geht, solche Leiden zukunftsorientiert anzugehen, mit den Betroffenen gestützt auf ihre individuellen Ressourcen neue Perspektiven zu erarbeiten, und dabei die seelischen «Leiden» nicht als innere Feinde, sondern als Signale und/oder auch als Hilfeschreie eigener Persönlichkeitsanteile zu verstehen, dann versagen Diagnosen ziemlich rasch.
Bessel van der Kolk, ein renommierter Traumaforscher und -therapeut schreibt dazu:
S. 166 ff.: «Die Psychiatrie als Spezialgebiet der Medizin versucht, eine psychische Krankheit so präzise wie beispielsweise Bauchspeicheldrüsenkrebs oder eine Streptokokkeninfektion der
Lunge zu definieren. Doch weil Geist, Gehirn und Bindungssystem des Menschen so komplex sind, ist uns eine solche Präzisierung im Hinblick auf psychische Probleme bislang nicht einmal annähernd
gelungen. Zu verstehen, was mit Menschen »nicht in Ordnung« ist, hängt momentan eher von der Geisteshaltung des behandelnden Arztes ab (sowie davon, wofür die Krankenversicherung des Patienten zu
zahlen bereit ist) als von verifizierbaren objektiven Tatsachen. (...)
Eine psychiatrische Diagnose hat schwerwiegende Folgen: Sie zieht eine bestimmte Behandlung nach sich, und eine falsche Behandlung kann katastrophale Auswirkungen haben. Außerdem begleitet
ein diagnostisches Etikett die Diagnostizierten oft ihr ganzes Leben und hat starken Einfluss auf ihre Selbstsicht. Viele Patienten, die ich kennengelernt habe, sagten, sie «seien» bipolar oder
«hätten» eine Borderline-Störung oder PTBS, (...)
Keine der genannten Diagnosen trägt den ungewöhnlichen Fähigkeiten Rechnung, die viele unserer Patienten entwickeln, oder den kreativen Energien, die sie aufgeboten haben, um überleben zu
können. Nur zu oft sind Diagnosen nichts weiter als eine Ansammlung von Symptomen, (...)»
(Aus: Bessel van der Kolk - Verkörperter Schrecken, Probst Verlag, 2015)
Was Bessel van der Kolk hier über psychotherapeutische Aspekte schreibt, kann auch im Coaching Bedeutung erlangen. Z.B. dann, wenn ein Klient / eine Klientin schon mal eine Diagnose für eine
psychische «Störung» erhalten hat, oder sich selber laienmässig diagnostiziert.
Ich selbst arbeite als Coach sowieso nicht mit Diagnosen, sondern mit Zielen, Potenzialen, Ressourcen, Wünschen, Träumen, Visionen - und mit Hemmnissen und seelischen Verletzungen, die diesen (vermeintlich) entgegenwirken.
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